Jörg Orschiedt mit Studierenden aus Köln vor dem Eingang der Blätterhöhle im Sommer 2006

 

Lage und Umgebung der Blätterhöhle

 

Die Höhle befindet sich in einem sich verengenden Seitental der Lenne im Weißenstein in Hagen-Holthausen. Die weithin sichtbaren weißen Kalkfelsen des Weißensteins bilden eine weithin sichtbare Landmarke im unteren Lennetal. Topographisch steht das aus mitteldevonischem Massenkalk aufgebaute Felsmassiv am Anfang des sich von Hohenlimburg an nach Süden zu einem tiefen Gebirgstal verengenden Flußbereichs der Lenne.


Am Weißenstein öffnet sich das Lennetal zu einer weiten Terrassenlandschaft, die im Norden durch das Ruhrtal und die südlichen Ausläufer des Ardeygebirges sowie von dem Syberg abgeschlossen wird.
Unmittelbar gegenüber der „Blätterhöhle" befindet sich das imposante Felsentor der „Hünenpforte", das den Rest einer gewaltigen Einsturzhöhle darstellt.
Auf dem gegenüberlegenden Ufer der Lenne liegt bei Hagen-Hohenlimburg die „Oeger Höhle“, in der zahlreiche archäologische Funde aus dem Jungpaläolithikum und vor allem aus dem Neolithikum entdeckt wurden. Der anschließende „Burgberg“ bei Letmathe mit der bei Steinbrucharbeiten zerstörten Martinshöhle sowie die erhalten gebliebene Felsgruppe „Pater und Nonne“ mit der „Grürmannshöhle“ zählen zu den "klassischen" Fundstellen aus der Anfangszeit der Steinzeitforschung im 19. Jahrhundert. In der „Martinshöhle“ wurden auch Fundhorizonte aus dem Mittelpaläolithikum entdeckt.

 

Die archäologische Fundlandschaft in der Umgebung der „Blätterhöhle“ hat sich als außerordentlich interessant erwiesen. Im näheren Umkreis der Höhle konnten bei Prospektionen auf bereits seit den 1930er Jahren bekannte und auch neu entdeckten Fundstellen zahlreiche weitere prähistorische Funde geborgen werden. Diese Oberflächenfundplätze belegen die Anwesenheit des Menschen seit der Mittleren Altsteinzeit.

 

Entdeckungsgeschichte

 

Im Frühjahr 2004 entdeckten Stefan Voigt und andere Mitglieder des Arbeitskreis Kluterthöhle e.V. in der „Blätterhöhle" im Hagener Stadtteil Holthausen die Skelettreste von mehreren Menschen. Obwohl der Höhleneingang bereits seit 1983 bekannt war, konnte die Höhle erst 20 Jahre später speläologisch untersucht werden. Die Funde, die bei der Anlage eines Kriechganges zum Zwecke der Vermessung der Höhle entdeckt worden waren, konnten im Jahre 2005 erstmals untersucht werden. Diese ersten Analysen wurden vom Neanderthal Museum Mettmann unterstützt und koordiniert. Auch das durch die Speläologen geborgenen Sediment konnte vollständig gesichert und geschlämmt werden. Diese Arbeiten wurden dankenswerter Weise vom Arbeitskreis Kluterthöhle e.V. in Zusammenarbeit mit den Wissenschaftlern durchgeführt.

Das Engagement der Stadt Hagen und des Historischen Centrums ermöglichte eine vierjährige archäologische Untersuchung der Fundstelle. Seit 2006 konnte bis 2009 jährlich eine vierwöchige Grabungskampgne in der Höhle sowie auf dem Vorplatz durchgeführt werden. Während die Ausgrabungen 2009 aus finanziellen Gründen eingestellt werden mussten, da die Stadt Hagen die notwenigen Mittel nicht länger aufbringen konnte, mussten die Grabungen und Analysen des Fundmaterials im Jahre 2010 ruhen. In diesem Zeitraum wurde von Jörg Orschiedt und Andreas Zimmermann ein Forschungsantrag bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gestellt, der im Sommer 2010 bewilligt wurde. Das DFG Projekt, das am Institut für Ur- und Frühgeschichte der Universität Köln angesiedelt ist, nahm im Januar 2011 seine Arbeit auf.

 

Bedeutung der Fundstelle


Für die Archäologen und Naturwissenschaftler ist die Fundsituation in der „Blätterhöhle“ einzigartig, denn nicht nur im Bereich der Mittelgebirge haben sich nur sehr wenige Höhle erhalten, die völlig unberührt von den Grabungen früherer Forscher und Raubgräber geblieben sind. Umfangreiche Ausgrabungen und das Abfahren der Höhlenfüllungen als Dünger sowie auch Sprengungen für Steinbrüche und den Straßenbau hatten bereits im 19. und vor allem im 20. Jahrhundert viele Höhlenfundstätten restlos zerstört. Im südwestfälischen Sauerland, wie z.B. im Hönnetal, wurden zu dieser Zeit zahlreiche bedeutende Höhlen ausgeräumt oder ihre Ablagerungen schwer beschädigt. Die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einsetzenden wissenschaftlichen Untersuchungen nach paläontologischen oder archäologischen Funden tat ein Übriges, um viele dieser Höhlen bis auf den Felsgrund zu leeren. Die Funde aus den Grabungen von Forschern wie Rudolf Virchow, Herrmann Schaaffhausen, Johann Carl Fuhlrott und Emil Carthaus sind zudem nur in Einzelfällen erhalten geblieben.

 

Mit der „Blätterhöhle“ wurde 2004 eine durch all diese Maßnahmen verschonte, archäologisch intakte Fundstelle entdeckt, die es erstmals in der Region ermöglicht, eine Höhlenfundstelle einschließlich des zugehörigen Vorplatzes detailliert im Rahmen eines Forschungsprojektes zu untersuchen. Die Lage der Fundstelle lässt neben den bereits entdeckten Fundhorizonten aus dem Jung- bis Spätneolithikum und dem Mesolithikum auch spätpaläolithische und wahrscheinlich sogar noch ältere Hinterlassenschaften erwarten. Mit diesen Funden kann eine Kenntnislücke geschlossen werden, die auch heute noch nahezu den gesamten Bereich der deutschen Mittelgebirge betrifft, denn aus diesen Regionen sind bislang kaum stratifizierte Funde aus der Steinzeit belegt.

 

 

Literatur zur Blätterhöhle


Jörg Orschiedt und Flora Gröning 2007: Die menschlichen Skelettreste aus der Blätterhöhle, Stadt Hagen. in: F. Andraschko, B. Kraus und B. Meller (Hrsg.), Archäologie zwischen Befund und Rekonstruktion. Ansprache und Anschaulichkeit. Festschrift für Prof. Dr. Renate Rolle zum 65. Geburtstag. Hamburg 2007, 349-361.

 

Jörg Orschiedt, Flora Gröning und Thorsten M. Buzug 2007: Virtuelle Rekonstruktion und stereolithographisches Modell eines jungneolithischen Schädelfundes aus der Blätterhöhle in Hagen, Nordrhein-Westfalen. In: Archäologische Informationen 30/1, 2007, 1-7.

 

Jörg Orschiedt, Jan F. Kegler, Birgit Gehlen, Werner Schön und Flora Gröning 2008: Die Blätterhöhle in Hagen (Westfalen). Vorbericht über die ersten archäologischen Untersuchungen. Archäologisches Korrespondenzblatt 38/1, 13-32.

 

Jörd Orschiedt 2008: Die Blätterhöhle – neu entdeckte steinzeitliche Fundstelle.
Archäologie in Deutschland 6, 32-33.

 

Die Blätterhöhle. In: Ralf Blank, Stephanie Marra und Gerhard E. Sollbach: Hagen. Geschichte einer Großstadt und ihrer Region. Essen 2008, 57-60 und 64-66.

 

Jörg Orschiedt, Birgit Gehlen, Werner Schön und Flora Gröning, 2009: Die Blätterhöhle. Interdisziplinäre Untersuchungen an einer neu entdeckten steinzeitlichen Fundstelle in Hagen/Westfalen. Jahrbuch Westfalen 2010, 8-13.

 

Jörg Orschiedt, Birgit Gehlen, Werner Schön und Flora Gröning 2010: Die Blätterhöhle – Eine neu entdeckte steinzeitliche Fundstelle in Hagen/Westfalen. In: T. Otten, H. Hellenkemper, J. Kunow und M.M. Rind (Hrsg.), Fundgeschichten – Archäologie in Nordrhein-Westfalen. Mainz 2010.

 

Michael Baales, Ralf Blank und Jörg Orschiedt (Hrsg.) 2010: Archäologie in Hagen. Eine Geschichtslandschaft wird erforscht. Essen 2010.

 

Jörg Orschiedt, Birgit Gehlen, Werner Schön und Flora Gröning 2010: Die Blätterhöhle in Hagen. In: Michael Baales, Ralf Blank und Jörg Orschiedt (Hrsg.), Archäologie in Hagen. Eine Geschichtslandschaft wird erforscht. Essen 2010, 127-149.